Donnerstag, 3. September 2015

Slogans der 90er sind zurück



Themen zum Auftakt der türkischen Süperlig gäbe es viele. Ob ein van Persie wohl die Meisterschaft bringt, oder wofür sich Galatasarays Keeper bei den eigenen Fans entschuldigt. Spannend wäre auch eine Begriffserklärung was eine osmanische Schelle ist und was dies mit Fußball zu tun hat. Doch um nichts davon soll es gehen, denn Fußball spielt in der Türkei seit dem Aufflammen der Auseinandersetzungen zwischen der PKK und ihren nah stehenden Gruppen und den türkischen staatlichen Kräften eine untergeordnete Rolle.


Seitdem 7. Juli starben im Zuge dieser Auseinandersetzungen über 1000 Personen. Die Türkei ist somit nach einer langen Phase nur kleinerer Scharmützel, nun wieder in der Kategorie der Länder mit bewaffneten Konflikten in der Gruppe mit über 1000 Todesfällen. Ein Rückfall in die 90er Jahre, in denen die Auseinandersetzungen ihren Höhepunkt hatten und den Alltag im Land prägten. Während die PKK und die ihr nahstehenden Gruppen mit über 900 Todesfällen das Gros der Verluste zu verzeichnen haben, sind auf der staatlichen Seite bis zum 2. September 72 Angehörige des Militärs, der Polizei oder sogenannter Dorfschützer Opfer von Anschlägen geworden. Zudem starben 20 Zivilisten.

Aus der deutschen Wikipedia. Daten beziehen sich auf 2014.

Şehitler ölmez, Vatan bölünmez

Heute vergeht kaum noch ein Tag an dem die türkischen Medien nicht von neuen Opfern oder Beerdigungen berichten müssen. Die Opfer von militanten Auseinandersetzungen werden in der Türkei als „Şehit“ geehrt. Das bedeutet "Märtyrer". Märtyrer, die für ihr Vaterland gefallen sind. Analog zu den 90er Jahren entwickeln sich die Beerdigungen der Märtyrer zu Demonstrationen gegen Terror und gegen die PKK. Der Slogan: „Şehitler ölmez, Vatan bölünmez“ zu Deutsch: Die Märtyer sterben nicht, das Vaterland wird nicht geteilt“ ist wieder aktuell. Ausdruck der Anteilnahme mit den Opfern auf Seiten der staatlichen Kräfte und Solidarität mit der Politik der nationalen Einheit.

Und wie in den 90er Jahren schon viele Fußballfans auf die Toten im Lande in den Stadien mit diesem Slogan reagierten, so sind auch heute mit Beginn der neuen Saison die alten Slogans wieder zurück. Das vor jedem Spiel obligatorische Absingen der Nationalhymne wird nun noch inbrünstiger intoniert und „Şehitler ölmez, Vatan bölünmez“ hallt es durch die Stadien der Profiligen. Ergänzt wird der Slogan mit Parolen gegen die PKK und ihren inhaftierten Führer Abdullah Öcalan (Apo). Für besondere Aufmerksamkeit sorgen dabei natürlich die Fangruppen der vier großen Vereine, wo Choreographien mit türkischen Fahnen und dem Hauptslogan gegen die Teilung des Landes das Bild bestimmen. Wie hier beim Spiel von Beşiktaş gegen Trabzonspor.



Reaktionen gab es nicht nur von den Fans, auch Vereine, Teams und Spieler zeigen sich betroffen. So haben Spieler, des Zweitligaklubs Karsiyaka, aus der Millionenmetropole Izmir vor dem Spiel gegen Adana Demirspor den Soldatengruß als Zeichen der Solidarität mit den Streitkräften auf dem Spielfeld absolviert. Spieler des Top-Club Beşiktaş trugen beim Aufwärmen T-Shirts mit Buchstaben. Zusammen gesetzt ergaben die Buchstaben den Slogan „Şehitler ölmez“.

Screenshot der Homepage der türkischsprachigen Tageszeitung Milliyet zeigt Bild salutierender Karşıyaka Spieler

Screenshot der Homepage der türkischsprachigen Tageszeitung Hürriyet von der Beşiktaş Aktion


Jetzt auch mit Cyberwar

In den 90er Jahren gab es noch kein Facebook und kein Twitter. Türkische und kurdische Nationalisten führen heute auch dort einen erbitterten Kampf, in den auch immer wieder Hacker eingreifen. So auch in der Fußballwelt. Im Anschluß an den Post des türkischen Pay-TV Anbieters und Süperlig Rechteinhaber Lig-TV einer Choreo von Beşiktaş-Fans mit türkischer Fahne, wurde deren Twitter Account von ColdHacks, einer mit der PKK sympathisierenden Hacker-Formation, gehackt. Anstatt der gewohnten Lig TV Tweets war hier nun vorübergehend PKK-Propaganda zu lesen.

Nationalmannschaft in Konya

Über gewalttätige Auseinandersetzungen im Rahmen von Fußballspielen ist bisher nicht bekannt geworden. Doch sind bisher auch nur die erste und die zweite Liga im Spielbetrieb. Die unteren Ligen, in denen mit dem Team von Deniz Naki Amedspor und z.B. Cizrespor auch einige Teams aus Gegenden des Landes mit kurdischer Bevölkerungsmehrheit spielen, starten erst an diesem Wochenende. Und hier gab es auch in den letzten Jahren, trotz der eigentlichen vorherrschenden Ruhe im innertürkischen Konflikt, immer wieder Kämpfe zwischen gegnerischen Fans oder der Polizei. Letztes Jahr war die Situation so prekär, dass der Verein Yeni Diyarbakirspor über den Ausstieg aus der Liga öffentlich nachdachte und eine eigene Liga propagierte.

Mit Spannung werden zudem auch die Auftritte des Auswahlteams der Türkei erwartet. Für die Türkei geht es heute Abend, am Donnerstag und am Sonntag um quasie die letzte Chance zur Teilnahme an der Euro 2016. Mit nur 8 Punkten ist man auf Platz vier, zwei Punkte hinter dem Dritten Holland. Nur mit Siegen gegen Lettland und Holland kann das Team um Fatih Terim weiter von einer Teilnahme träumen. So ist sportlich schon genug Pfeffer drin um den Fans einzuheizen. Gepaart mit der aktuellen Situation, erst heute früh meldeten türkische Medien vier weitere Toten Polizisten bei einem Terroranschlag, und der national aufgeladenen Athmosphäre eines Länderspiels steht die Reaktion des Teams und der Fans auf die Stimmung im Land neben dem sportlichen im Mittelpunkt des Interesses. Spielort beider Begegnungen ist zudem die Provinzhauptstadt Konya. Ein konservative und religiöse Metropole. Das heutige Spiel in Konya zwischen der Türkei und Lettland und die Aktionen der Fans können ab 20:45 auf dem türkischen Sender Show TV oder auf dem aserbaidschanischen Kanal idman TV live verfolgt werden.