Emre Mor überzeugte beim
gestrigen Freundschaftsspiel der Türkei gegen Russland (0:0) erneut im Trikot der
rot-weißen. Seine Dribblings und sein Ballgefühl werden von Experten und in den
sozialen Medien in schrillen Tönen gelobt. Der türkische Messi, heißt es da. Der
erst 19 jährige Dortmund Profi wird jedoch nicht nur gefeiert. Gleichzeitig ist
er auch Opfer eines kleinen Shitstorms. Grund: Kaugummikauen während der
Nationalhymne.
Nationalismus in der Türkei
oder nationalistische Überhöhungen gehören zum guten Ton im Lande. Alle im
Parlament vertretenen Parteien beziehen sich irgendwie auf Nationalismus. Und
auch außerhalb des Parlamentes gibt es eine gesellschaftlich relevante Auseinandersetzung
mit nationalistischer Symbolik und Habitus nur rudimentär. Selbst in vielen
linken Gruppen ist Nationalismus en Vogue. Dazu gehört, das die Symbole der
Nation, eben hier die türkische Fahne oder die Hymne, als heilig gelten. Vielen
Älteren ist die Erschießung von Solomou, einem griechischen Zyprioten, der eine
türkische Flagge 1996 von einem Mast in der Pufferzone zwischen türkischen und
griechischen Teil auf Zypern, herunternehmen wollte noch in Erinnerung. Oder
der tödliche Messerangriff an zwei englischen Fußballfans 2000 in Istanbul.
Hier entweihten Leeds United Fans eine rot-weiße Fahne der Türkei, die in einem
Geschäft auf der Haupteinkaufstrasse Istiklal hing. Der Täter ein
Galatasaray-Fan steht auch 14 Jahre nach der Tat und seiner Entlassung aus dem
Gefängnis offen zu seiner Tat, berichtete das Magazin Aktüel 2014. “Aufgrund
der Beleidigung der türkischen Fahne bereue ich meine Tat nicht.“ Aktuell hat der gescheiterte Putsch im Sommer
2016 und regelmäßige Anschläge PKK naher Gruppen in der Türkei dem
Nationalismus noch mehr Nahrung gegeben.
Altersgerecht vs. Tradition
Von all dem hat wohl
BVB-Youngstar Emre Mor wohl nichts gewusst, als er sich mit seinen Teamkollegen
am gestrigen Abend in der Antalya-Arena auf das Feld begab. Das obligatorische
feierliche Absingen der türkischen Hymne stand an. Doch Mor konzentrierte sich
auf seine Art auf seine anstehende fünfte Begegnung im türkischen Trikot. Er kaute
altersgerecht auf einem Kaugummi herum. Ein Affront, der dann schon zu
Spielbeginn in den sozialen Medien seinen Widerhall fand. Print- und
Internetmedien zogen heute nach und thematisierten neben der herausragenden
Leistung des Dortmunders, den Kaugummi-Gate.
Emre Mor beim obligatorischen Absingen der Hymne während #TUR vs. #RUS (screenshot) |
Unter besonderer Beobachtung
Dabei wird das Verhalten von
Sportlern während der traditionellen Inszenierung nationalistischer Insignien
im Rahmen von Sportveranstaltungen international übergreifen genau unter die
Lupe genommen. Der deutsche Olympiasieger Christoph Harting ist dafür nur ein aktuelles Beispiel, oder eben der Dauerbrenner-Diskurs
ob Fußballauswahlspieler die Nationalhymne mitsingen müssen oder nicht.
Sportler mit einem
interkulturellen Background, stehen hierbei unter besonderer Beobachtung. Schon
im Vorfeld wird diskutiert: Wie verhält er sich? Singt er? Dazu wird die Mimik
bis ins kleinste studiert und nach möglichen Informationen abgescannt. Das der
Sportler im Trikot des jeweiligen Teams aufläuft, ist als Bekenntnis zur Nation
nicht ausreichend. Hier muss das Gesamtpaket stimmen. Und allgemein gilt, wie
auch bei Harting: Ein Abweichen vom ehrfürchtigen Strammstehen und inbrünstigen
Gesangseinlagen erntet nationalistische Kritik. Wie nun auch bei Emre Mor und
seinem aktuellen Shitstorm.
Der Kaugummi-Gate zu sehen hier im Video ab 0.25
Nationalistische Internationale
Dabei gleicht sich die
Kritik der nationalistischen Sportfans international. So wird Emre Mor bei
Twitter angegangen, das sich dies nicht gehöre, er Ehrfurcht vor der Hymne
zeigen solle, und das er wohl durch das starke Interesse an seiner Person
abgehoben sei, was wiederum Schuld sei an seinem respektlosen Verhalten. Das kommt doch ziemlich bekannt vor, oder? Viele
User meinen es dann aber doch gut mit dem Hoffnungsträger im türkischen Fußball
und merken an, das er noch sehr jung sei und nun wohl seine Lektion gelernt
habe und despektierliches Verhalten in Zukunft unterlassen würde.
Paradoxer Diskurs
Emre Mor ist in Dänemark
aufgewachsen, Sohn einer interkulturellen Beziehung. Türkisch war bisher nicht
so sein Ding. Erst jetzt in Dortmund möchte er anfangen Türkisch zu lernen. Die
Paradoxie des nationalistischen Aufschreis lässt sich auch daran festmachen. Denn,
dass ein türkischer Auswahlspieler nicht die Sprache spricht ist anscheinend kein
Problem, dass er dann folgerichtig die Nationalhymne nicht mit singt, schon.
Einmal mehr scheint eine
sportliche Leistung von nationalistischer Kritik überschattet zu werden. Mit
Sport hat das nur am Rande zu tun. Oder frei nach Marx: Nationalismus ist
Crack für das Volk.
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