Mit dem Rücktritt von
Mesut Özil aus dem Auswahlteam der Bundesrepublik hat die Diskussion, die
ausgelöst wurde durch einen Fototermin mit dem türkisch Staatspräsidenten
Erdogan noch einmal an Fahrt aufgenommen. Dabei haben neben Sportlern,
Ex-Sportlern, Sportfunktionären, Journalisten, Politikern und den Medien in
Deutschland, England und der Türkei fast alle etwas zu sagen, über das Foto an
sich, die mediale Aufarbeitung dessen, Reaktionen in den und um die Stadien,
über das Verhalten des Verbandes und seiner Funktionäre, über Shitstorms,
Sportberater und Rassismus. Dabei wird
das grundlegende Thema verschwiegen und das Dilemma von Nationalmannschaften:
der Nationalismus an sich.
Die Foto-Lüge
Die Debatte um Mesut Özil und İlkay Gündoğan zeigt
augenscheinlich wie der Nationalismus trennt. Dabei wurde er als moderne
Staatsform geschaffen um zu einen. Doch die Einigung funktioniert nicht
mehr, wenn sie denn jemals funktionierte. Warum die Debatte um Mesut Özil und
İlkay Gündoğan eine Nationalistische ist lässt sich schon am Ausgangspunkt der
Debatte belegen. Zu dem allseits bekannten Fototermin war neben Mesut Özil und
İlkay Gündoğan noch ein weiterer Spieler anwesend. Doch auf den in deutschen
Medien kolportierten Fotos waren zumeist nur Mesut Özil und İlkay Gündoğan,
sowie der Staatspräsident zu sehen. Eine Google Suche nach „Foto mit Erdogan“
beweist dies. Die meisten Bilder zeigen jedoch nur ein Teil des Bildes und
verschweigen die Anwesenheit von Cenk Tosun. Der 27-jährige ist ebenso wie
seine beiden Fotofreunde in der Bundesrepublik geboren und spielt in der
englischen Premier League. Doch die Diskussion dreht sich analog zum
Bildschnitt ausschließlich um Mesut Özil und İlkay Gündoğan. Damit zeigt schon der
Ausgangspunkt der Diskussion, das hier nicht kritisiert wird, wie sich Fußballer
gegenüber Politikern verhalten. Es ist eindeutig keine Kritik, daran das Fußballer
mit Tayyip Erdoğan kurz vor
den Wahlen in der Türkei ein Foto gemacht haben. Denn wenn dies so wäre, dann
hätte Cenk Tosun ebenso im Mittelpunkt der Kritik stehen müssen. Aber er ist ja
noch nicht mal auf dem Bild.
Fotosuche bei Google: Fast nur Bilder mit Özil, Gündogan und Erdogan. |
Das Deutsche steht im Mittelpunkt, nicht ein Foto
Die Kritik richtet sich somit nur an aktuelle Nationalspieler.
Und zwar Deutsche. Hier wird anhand eines Fotos das Deutsche diskutiert. Hier
wird eine fiktive Klammer diskutiert. Und diese Klammer ist der Nationalismus:
Der Deutsche. Was ist Deutsch? Was darf man als Deutscher? Muss man die Hymne
singen etc. etc. Alles Fragen, die sich mit dem Deutschsein, der Nation
beschäftigen. Die Klammer, die den künstlichen Nationalstaat zusammenhalten
soll. Und dieser Nationalismus ist gang und gäbe, unhinterfragt und Grundlage
für fast alle Länder dieser Welt. Kritik an Nationalismus ist marginal, und
kommt über die Blase intellektueller und linker Debatten kaum hinaus. Und in
diesen bewegen sich die wenigsten Sportler, Berater oder Sportfunktionäre.
So wurden Mesut Özil und İlkay Gündoğan mit einer Debatte
konfrontiert, die ihre Identitäten angriffen. Ihre Identitäten mit dem
Background von drei Sprachen und der Verwurzelung in der Türkei, Deutschland
und jetzt England. Doch der Nationalismus kennt keine Bi- oder Tri-Identitäten.
Man ist Deutscher oder Türke. Immer wird man von irgendwo zu einer Entscheidung
gedrängt. Eine absurde Situation. Özil hat in seiner Erklärung die Metapher von
den zwei Herzen benutzt. Ein Deutsches und ein Türkisches. Ein schönes positives
Bild, dabei ist die eigentliche Metapher viel tragischer. Es ähnelt eher der
Situation von Scheidungskindern. Die Eltern trennen sich, waschen ihre
Schmutzwäsche und ziehen an den Kindern und sie mit hinein in den Konflikt der
Eltern. Da passt, dass das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland ja
auch ein bisschen einer zerrütteten Ehe ähnelt. Auch kann man das Dilemma mit
einem Begriff der im Deutschen und Türkischen gebraucht wird beschreiben:
Haymatloz. Doch im Kontext des Nationalismus auf dem die Debatte fußt, wäre der
Begriff von Bi-Nationalisten treffender.
Zwischen den Stühlen
Dem Mainstream jedes nationalen Staates ist das Ausklinken
aus dem Mainstream fremd. Und wenn man in zwei Gesellschaften lebt, die durch
Nationalismus geleitet werden, ist man versucht, sich dem jeweiligen Mainstream
anzupassen. Denn der Nationalismus wird ja nicht hinterfragt und man ist ja
nicht, nur weil man in zwei oder mehr Kulturen verwurzelt ist, automatisch ein
Anti-Nationalist, der das System in Frage stellt und andere Klammern für
Gesellschaften sucht, als die fiktionale Klammer einer einheitlichen Nation.
Man versucht sich irgendwie durchzuwurschteln. Es allen recht zu machen. Özils Verweis auf die Erziehung seiner Mutter bezüglich Respektes macht dort durchaus
Sinn und ist sehr persönlich und intim.
Der Deutsche Nationalismus ist wie alle Nationalismen
diffus, verregelt, aber eben nicht wie ein Verein, eine Partei oder eine NGO
eine Gemeinschaft, die auf gemeinsamen ethischen Werten fußt. Nationalismus
kehrt alle über einen Kamm, die nach dem Gesetz dazu gehören. Es gibt nur einen
Nationalismus, den der Mehrheit und der ist eben Uni-Nationalismus. Der
Standard ist die einfache Nationalität.
Da haben es Bi-Nationalisten mit Füßen in mehreren Kulturen schwer. Sie
versuchen es allen Seiten Recht zu machen. Aber ein uni-nationaler Mainstream,
erlaubt nur schwer Abweichungen von der Norm. Mesut Özil wird die Reaktionen
aus der Türkei auf seine Entscheidung für das deutsche Team aufzulaufen nicht
vergessen haben.
Bi statt Uni
Persönlichkeiten, die in der Öffentlichkeit stehen müssen
sich natürlich auch kritisieren lassen für ihr tun, außerhalb ihres
eigentlichen Arbeitsfeldes, deswegen bewegen sie sich ja auch mit Hilfe von
Beratern in diesem Raum. Und da ist die Kritik dann berechtigt, denn gerade
nach dem Fall von Lukas Podolski und seinem Tweet mit Soldatengruß vor der
türkischen Fahne und den Reaktionen in Deutschland darauf, hätte auch den
Beratern von Özil und Gündoğan bewusst sein können, das ein Termin mit Tayyip
Erdogan im Jahre 2018 eben anders ist als die Termine vorher. Auch ist die Veröffentlichung
der Stellungnahme nur auf Englisch unglücklich, denn so überlassen die Berater
die Übersetzung den Journalisten und den sozialen Medien und verlieren somit die
Kontrolle über die übersetzten Wörter, die dann wie beim Beispiel der Bild,
dann eine ganze andere Geschichte erzählen. Berater von internationalen Fußballern müssen
heute eben immer auch interkulturelle Berater sein und die Gemengelage in verschiedenen
Gesellschaften im Auge behalten. Was in der einen nationalen Klammer geht, geht
eben in der anderen nicht. Dieser Spagat den Bi-Nationalisten eben tagtäglich
hinlegen müssen, muss erlernt sein.
Auch der Ex-Nationalspieler Lukas Podolski hatte seinen Türkiye-Gate. Nach diesem Tweet 2015. |
Deutscher, Türke, Deutsch-Türke und Almancı
Gesellschaften müssen lernen, das die alte Klammer des
Nationalismus in einer globalisierten Welt, letztendlich ausgedient hat. Immer
weniger Menschen passen in diese enge Fiktion einer Nation. Das zeigt sich nun
einmal mehr an dem aktuellen Beispiel im Sport. Internationale Sportverbände
müssten dies thematisieren, wenn die Politik dies nicht tut. Sie könnten
Vorreiter sein über laxe Kampagnen gegen Rassismus hinaus. Denn auch wenn die Fiktion der nationalen
Idee, zur Zeit scheinbar an Unterstützung gewinnt, wird sie aufgefressen und
zwar nicht von den bekennenden Anti-Nationalisten, sondern von den Bi- und Tri-Nationalisten,
die das System ad absurdum führen. Der Sport könnte die Zeichen der Zeit
erkennen und gegen steuern. Denn die aktuelle Kakophonie, bei der sich selbst
die Polizei Koblenz genötigt sah ihren Senf dazu zu geben, zeigt einmal mehr,
Nationalismus als einigender Faktor ist überholt. Und ein Kampf gegen Rassismus
geht ohne Benennung des eigentlichen Problems des Nationalismus funktioniert
für die nationalen Verbände eben nur dann wenn der Erfolg da ist. So wie Özil
es in seinem Statement auf den Punkt brachte: „ Wenn ich Erfolg habe bin ich
Deutscher, wenn nicht dann Türke.“ Resultat des deutschen Nationalismus. In der
Türkei wäre er bei Erfolg der Türke, bei Mißerfolg der Almancı.