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Montag, 23. Juli 2018

Nationalteams haben ein Problem: Nationalismus

Mit dem Rücktritt von Mesut Özil aus dem Auswahlteam der Bundesrepublik hat die Diskussion, die ausgelöst wurde durch einen Fototermin mit dem türkisch Staatspräsidenten Erdogan noch einmal an Fahrt aufgenommen. Dabei haben neben Sportlern, Ex-Sportlern, Sportfunktionären, Journalisten, Politikern und den Medien in Deutschland, England und der Türkei fast alle etwas zu sagen, über das Foto an sich, die mediale Aufarbeitung dessen, Reaktionen in den und um die Stadien, über das Verhalten des Verbandes und seiner Funktionäre, über Shitstorms, Sportberater und Rassismus.  Dabei wird das grundlegende Thema verschwiegen und das Dilemma von Nationalmannschaften: der Nationalismus an sich.



Die Foto-Lüge


Die Debatte um Mesut Özil und İlkay Gündoğan zeigt augenscheinlich wie der Nationalismus trennt. Dabei wurde er als moderne Staatsform geschaffen um zu einen. Doch die Einigung funktioniert nicht mehr, wenn sie denn jemals funktionierte. Warum die Debatte um Mesut Özil und İlkay Gündoğan eine Nationalistische ist lässt sich schon am Ausgangspunkt der Debatte belegen. Zu dem allseits bekannten Fototermin war neben Mesut Özil und İlkay Gündoğan noch ein weiterer Spieler anwesend. Doch auf den in deutschen Medien kolportierten Fotos waren zumeist nur Mesut Özil und İlkay Gündoğan, sowie der Staatspräsident zu sehen. Eine Google Suche nach „Foto mit Erdogan“ beweist dies. Die meisten Bilder zeigen jedoch nur ein Teil des Bildes und verschweigen die Anwesenheit von Cenk Tosun. Der 27-jährige ist ebenso wie seine beiden Fotofreunde in der Bundesrepublik geboren und spielt in der englischen Premier League. Doch die Diskussion dreht sich analog zum Bildschnitt ausschließlich um Mesut Özil und İlkay Gündoğan. Damit zeigt schon der Ausgangspunkt der Diskussion, das hier nicht kritisiert wird, wie sich Fußballer gegenüber Politikern verhalten. Es ist eindeutig keine Kritik, daran das Fußballer mit Tayyip Erdoğan kurz vor den Wahlen in der Türkei ein Foto gemacht haben. Denn wenn dies so wäre, dann hätte Cenk Tosun ebenso im Mittelpunkt der Kritik stehen müssen. Aber er ist ja noch nicht mal auf dem Bild.

Fotosuche bei Google: Fast nur Bilder mit Özil, Gündogan und Erdogan. 


Das Deutsche steht im Mittelpunkt, nicht ein Foto


Die Kritik richtet sich somit nur an aktuelle Nationalspieler. Und zwar Deutsche. Hier wird anhand eines Fotos das Deutsche diskutiert. Hier wird eine fiktive Klammer diskutiert. Und diese Klammer ist der Nationalismus: Der Deutsche. Was ist Deutsch? Was darf man als Deutscher? Muss man die Hymne singen etc. etc. Alles Fragen, die sich mit dem Deutschsein, der Nation beschäftigen. Die Klammer, die den künstlichen Nationalstaat zusammenhalten soll. Und dieser Nationalismus ist gang und gäbe, unhinterfragt und Grundlage für fast alle Länder dieser Welt. Kritik an Nationalismus ist marginal, und kommt über die Blase intellektueller und linker Debatten kaum hinaus. Und in diesen bewegen sich die wenigsten Sportler, Berater oder Sportfunktionäre.  

So wurden Mesut Özil und İlkay Gündoğan mit einer Debatte konfrontiert, die ihre Identitäten angriffen. Ihre Identitäten mit dem Background von drei Sprachen und der Verwurzelung in der Türkei, Deutschland und jetzt England. Doch der Nationalismus kennt keine Bi- oder Tri-Identitäten. Man ist Deutscher oder Türke. Immer wird man von irgendwo zu einer Entscheidung gedrängt. Eine absurde Situation. Özil hat in seiner Erklärung die Metapher von den zwei Herzen benutzt. Ein Deutsches und ein Türkisches. Ein schönes positives Bild, dabei ist die eigentliche Metapher viel tragischer. Es ähnelt eher der Situation von Scheidungskindern. Die Eltern trennen sich, waschen ihre Schmutzwäsche und ziehen an den Kindern und sie mit hinein in den Konflikt der Eltern. Da passt, dass das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland ja auch ein bisschen einer zerrütteten Ehe ähnelt. Auch kann man das Dilemma mit einem Begriff der im Deutschen und Türkischen gebraucht wird beschreiben: Haymatloz. Doch im Kontext des Nationalismus auf dem die Debatte fußt, wäre der Begriff von Bi-Nationalisten treffender. 

Zwischen den Stühlen


Dem Mainstream jedes nationalen Staates ist das Ausklinken aus dem Mainstream fremd. Und wenn man in zwei Gesellschaften lebt, die durch Nationalismus geleitet werden, ist man versucht, sich dem jeweiligen Mainstream anzupassen. Denn der Nationalismus wird ja nicht hinterfragt und man ist ja nicht, nur weil man in zwei oder mehr Kulturen verwurzelt ist, automatisch ein Anti-Nationalist, der das System in Frage stellt und andere Klammern für Gesellschaften sucht, als die fiktionale Klammer einer einheitlichen Nation. Man versucht sich irgendwie durchzuwurschteln. Es allen recht zu machen. Özils Verweis auf die Erziehung seiner Mutter bezüglich Respektes macht dort durchaus Sinn und ist sehr persönlich und intim.


Der Deutsche Nationalismus ist wie alle Nationalismen diffus, verregelt, aber eben nicht wie ein Verein, eine Partei oder eine NGO eine Gemeinschaft, die auf gemeinsamen ethischen Werten fußt. Nationalismus kehrt alle über einen Kamm, die nach dem Gesetz dazu gehören. Es gibt nur einen Nationalismus, den der Mehrheit und der ist eben Uni-Nationalismus. Der Standard ist die einfache Nationalität.  Da haben es Bi-Nationalisten mit Füßen in mehreren Kulturen schwer. Sie versuchen es allen Seiten Recht zu machen. Aber ein uni-nationaler Mainstream, erlaubt nur schwer Abweichungen von der Norm. Mesut Özil wird die Reaktionen aus der Türkei auf seine Entscheidung für das deutsche Team aufzulaufen nicht vergessen haben.



Bi statt Uni


Persönlichkeiten, die in der Öffentlichkeit stehen müssen sich natürlich auch kritisieren lassen für ihr tun, außerhalb ihres eigentlichen Arbeitsfeldes, deswegen bewegen sie sich ja auch mit Hilfe von Beratern in diesem Raum. Und da ist die Kritik dann berechtigt, denn gerade nach dem Fall von Lukas Podolski und seinem Tweet mit Soldatengruß vor der türkischen Fahne und den Reaktionen in Deutschland darauf, hätte auch den Beratern von Özil und Gündoğan bewusst sein können, das ein Termin mit Tayyip Erdogan im Jahre 2018 eben anders ist als die Termine vorher. Auch ist die Veröffentlichung der Stellungnahme nur auf Englisch unglücklich, denn so überlassen die Berater die Übersetzung den Journalisten und den sozialen Medien und verlieren somit die Kontrolle über die übersetzten Wörter, die dann wie beim Beispiel der Bild, dann eine ganze andere Geschichte erzählen.  Berater von internationalen Fußballern müssen heute eben immer auch interkulturelle Berater sein und die Gemengelage in verschiedenen Gesellschaften im Auge behalten. Was in der einen nationalen Klammer geht, geht eben in der anderen nicht. Dieser Spagat den Bi-Nationalisten eben tagtäglich hinlegen müssen, muss erlernt sein.

Auch der Ex-Nationalspieler Lukas Podolski hatte seinen Türkiye-Gate. Nach diesem Tweet 2015.



Deutscher, Türke, Deutsch-Türke und Almancı


Gesellschaften müssen lernen, das die alte Klammer des Nationalismus in einer globalisierten Welt, letztendlich ausgedient hat. Immer weniger Menschen passen in diese enge Fiktion einer Nation. Das zeigt sich nun einmal mehr an dem aktuellen Beispiel im Sport. Internationale Sportverbände müssten dies thematisieren, wenn die Politik dies nicht tut. Sie könnten Vorreiter sein über laxe Kampagnen gegen Rassismus hinaus.  Denn auch wenn die Fiktion der nationalen Idee, zur Zeit scheinbar an Unterstützung gewinnt, wird sie aufgefressen und zwar nicht von den bekennenden Anti-Nationalisten, sondern von den Bi- und Tri-Nationalisten, die das System ad absurdum führen. Der Sport könnte die Zeichen der Zeit erkennen und gegen steuern. Denn die aktuelle Kakophonie, bei der sich selbst die Polizei Koblenz genötigt sah ihren Senf dazu zu geben, zeigt einmal mehr, Nationalismus als einigender Faktor ist überholt. Und ein Kampf gegen Rassismus geht ohne Benennung des eigentlichen Problems des Nationalismus funktioniert für die nationalen Verbände eben nur dann wenn der Erfolg da ist. So wie Özil es in seinem Statement auf den Punkt brachte: „ Wenn ich Erfolg habe bin ich Deutscher, wenn nicht dann Türke.“ Resultat des deutschen Nationalismus. In der Türkei wäre er bei Erfolg der Türke, bei Mißerfolg der Almancı.