Wenn über Derbys in der Türkei berichtet wird, dann
sind es zumeist die Partien zwischen den drei großen Istanbuler Klubs, von
denen geschrieben wird. Zudem erhielten eine Zeitlang auch die Derbys der
Hauptstadtklubs ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Zu einem Klassiker der ganz
anderen Art, kam es am letzten Spieltag der 2. türkischen Liga (PTT 1.Lig), in
Izmir.
Klar. Den Fußball in Izmir
hat in Europa so gut wie keiner auf dem Plan. Das ist nur etwas für
Spezialisten und Heimatverbundende. Dabei tummeln sich in der 3. größten Stadt
des Landes nur so die Klubs. Allein Göztepe, Karşıyaka, Altay Izmir, Bucaspor,
Izmirspor und Altınordu haben alle schon Erstligaluft geschnuppert. Dazu gibt
es viele kleinere Vereine. Denn eigentlich hat der Fußball in der Türkei hier
in Izmir, an dem ägäischen Meer, seine Wurzeln. Die erste Spiele wurden hier
ausgetragen. Der Einfluss der internationalen Geschäftsleute und Industrie
förderten die Entwicklung des Fußballs, an dem dann auch immer mehr Türken
teilnahmen. Mit der Besetzung Izmirs vor hundert Jahren kam weiterer
fußballerischer Input in die Stadt. Die Gründung der o.g. Verein fand dann auch
zwischen 1912 und 1928 statt. Also alles Traditionsklubs. Göztepe spielte sogar
schon 7 mal in europäischen Wettbewerben und ist in die türkische
Fußballgeschichte eingegangen, als das erste Team aus der Türkei welches das
Halbfinale eines europäischen Wettbewerbes erreichte. Das war 1969 beim
Vorläufer des UEFA-Pokals, dem Messe-Cup.
Support your local Team
So viel Fußballtradition in
einer Stadt, da ist die Fanszene dementsprechend. Im Gegensatz zu vielen
Städten in der Türkei, wurde hier schon immer der lokale Klub supportet, auch
wenn viele einen Zweitverein aus Istanbul haben. Die stadteigene Fankultur ließ
sich auch ohne sportlichen Erfolg nicht unterkriegen. Die Klubs aus Izmir
spielten in den letzten Jahren zumeist unterklassig, oder vielen als
Fahrstuhlteams auf. Und ausgerechnet die beiden Klubs mit der aktivsten Fanszene
verlangten der Fangemeinschaft einiges ab. Der älteste Klub Karşıyaka stürzte
2001 bis in die dritte Liga ab und spielt heute seine zehnte Saison in der
zweiten Liga. Göztepe noch 2003 erstklassig, fand sich schon 2008 in der
fünftklassigen Amateurliga wieder. Mit Beginn der aktuellen Saison spielt der
Klub jedoch erneut in der zweiten Liga.
Fans beider Teams im Stadion
So kam es dann auch am
8.11.2015 wieder mal zu dem für Izmir legendären Stadtderby Karşıyaka vs. Göztepe. Die beiden Stadteile aus denen die
Klubs stammen, liegen sich am Golf von Izmir direkt gegenüber. Die Feindschaft
der Fangruppen scheint sogar stärker zu sein als die zwischen den Fans der
Istanbuler Klubs. Denn nicht nur die Teams laufen in der aufgeheizten
Atmosphäre zu Hochleistungen auf, begleitet wurden die Begegnungen zumeist auch
von intensiven Auseinandersetzungen vor dem Stadion und auch auf den Rängen.
Ironisch bezeichnen sich die Fans von Karşıyaka, auch als von 35,5 kommend.
Eine Anspielung an das Kennzeichnen von Izmir, der Nummer 35. Zu dem Karşıyaka
dann irgendwie nicht richtig dazu gehören möchte.
Schlagzeile der Tageszeitung Yeni Asir von 1981:" Weltrekord in der 2.Liga" |
Das Derby vom Wochenende
stand somit unter einem geschichtlichen Stern. Das Wiedersehen in der 2. Liga
brachte zudem zwei Team zu einander, die erneut mit großen Zielen in die Saison
gingen und herbe Rückschläge registrieren musste. Trotzdem machten Verein und
Fans Werbung für ein unvergessliches Derby. Nicht wie in Istanbul üblich, in
Izmir sollten Fans beider Teams in das Stadion dürfen und trotz aller
sicherheitsbedenken ihrer Teams anfeuern dürfen. Die Preise wurden auf
einheitliche 20 Lira gesenkt und die Vereinspräsidenten kündigten schon im
Vorfeld an gemeinsam das Spiel zu verfolgen. Trotzdem kam es zu kleineren
Auseinandersetzungen zwischen Fans einerseits und der Polizei. Zum großen
Zuschauercoup reichte es dann nicht. Erhofft hatten sich die
Klubverantwortlichen an alte erfolgreichere Zeiten anknüpfen zu können.
Schließlich hielt genau diese Begegnung zwischen Karşıyaka und Göztepe für
viele Jahre den Weltrekord an Zuschauern in einem Zweiligaspiel. 80.000
Zuschauer, davon knapp 70.000 zahlende wollten 1981 das Izmir-Derby sehen. Das
brauchte dann auch einen Eintrag in das Guinnes-Buch.
Passolig futbola ve taraftara
ihanettir. #Göztepe
#Karşıyaka
pic.twitter.com/q7Xrmv4yCy
—
Direnenler Kulübü (@direnvekazan) 8.
November 2015
Leeres Stadion heute. E-Ticket hält Fans vom Stadionbesuch ab.
Torschütze und Fans feiern im Block
Vom Guinnes-Buch war man
diesmal weit entfernt. Nur 15.632 Zuschauer wollten das Spektakel Live im
Stadion erleben. Denn obwohl die Begegnung schon im Vorfeld die ganze Stadt
elektrisierte und die Arbeiten der beiden Vorstände mit dem Ziel eine
gewaltfreie Atmosphäre zu schaffen, vielerorts gelobt wurden, boykottieren
viele Fans beider Vereine den Stadionbesuch, ganz allgemein. Hintergrund ist
der Protest gegen das elektronische Ticketsystem, das nur mit dem Erwerb einer
Kreditkarte einer einzigen Bank möglich ist. So zogen es die meisten Izmiraner
vor, das Spiel im TV zu verfolgen. Tausend von Fans twitterten ihren Unmut
darüber in Izmir zu sein und nicht zum Derby gehen zu können. Und so fand die
Begegnung zwar eine große Aufmerksamkeit, aber die virtuelle war dann doch um
einiges größer. Die Begegnung wird wahrscheinlich trotzdem in die
Stadtgeschichte eingehen, nun als wohl zuschauerärmste.
Das Spiel
selbst war ein klassisches Derby geleitet von Einsatz und Härte. Schon früh
stellte Fifa-Schiedsrichter Cüneyt Cakir Barış Başdaş von Göztepe mit Rot vom Platz. So konnte man bei Göztepe schon froh sein,
das es bis zur 89. Minute noch 0:0 stand. Doch mit dem Abstauber-Tor von Engin
Baytar hatte KafKaf den heutigen Derby-Sieg einfangen können. Der Torjubel im
Anschluss war dann wieder eines Derby würdig. Engin stürmte auf die Tribüne und
feierte mit überglücklichen Fans im Block.