Lange spielte der Fußball
aus Izmir keine große Rolle im türkischen Fußball und das obwohl die Stadt an
der Ägäis die drittgrößte Stadt des Landes und Heimat vieler prominenter
Vereine ist. Nun steht mit Göztepe ein Klub aus Izmir zur Winterpause an der
Spitze der 2. Liga. Ein Klub mit Tradition und Fan Base, der schon einmal zu
den ganz großen im Lande gehörte.
Der türkische Fußball ist im
Wandel. Jahrzehntelang bestimmte der Dreikampf der Istanbuler Klubs das
Liga-Geschehen. Angeführt von Başakşehir
und Osmanlıspor machen nun immer mehr Klubs als Vertreter der „Neuen Türkei“
sportlich auf sich aufmerksam und setzen die Clique von Galatasaray, Beşiktaş
und Fenerbahce unter Druck. Ein Vertreter der „Alten Türkei“ könnte jetzt für
noch mehr Spannung sorgen. Göztepe der Traditionsklub aus Izmir führt nach 16
Spielen die Tabelle der 2. Liga an und begibt sich als potentieller Aufsteiger
in die Winterpause.
Izmir: Die Wiege des türkischen Fußballs
Göztepe ist beheimatet im
gleichnamigen Stadtteil von Izmir. Der Stadt, die wohl wie keine andere Stadt
in der Türkei ein europäisches Flair versprüht. Izmir ist die drittgrößte Stadt
im Lande und zugleich Messestadt und Hafenstadt. Hier befindet sich der
zweitgrößte Hafen des Landes. Zudem ist Izmir auch Tourismuszentrum. Der
Touri-Hotspot Çeşme gehört zu Izmir und auch Bodrum und Kuşadası gehören zum
Einzugsbereich der Stadt. Und auch wenn der Fußball aus Izmir kaum jemanden
außerhalb der Türkei etwas sagt, ist Izmir dennoch eine Fußballstadt.
Eigentlich liegt hier die Wiege des türkischen Fußballs. Schon 1877 sollen hier
im Stadtteil Bornova die ersten Fußballspiele stattgefunden haben. 1884 wurde
mit „Football Club Smyrna“ der erste
Fußballklub gegründet. Von ersten Spielen in Istanbul wurde hingegen erst ein Jahr
später berichtet.
Die Fußballbegeisterung in
Izmir nahm ihren Anfang in der englischen und griechischen Bevölkerung. Erst
später konnten sich auch muslimische Stadtbewohner für Fußball erwärmen. Für die
Entwicklung des Fußballs in Izmir sollten die Klubs der Minderheiten dann bald
keine große Rolle mehr spielen. Aber neben den Klubs von griechischen,
italienischen und englischen Stadtbewohner, soll es sogar um die
Jahrtausendwende einen Maccabi Klub in der Stadt gegeben haben. Mit Karşıyaka
gründete sich 1912 der erste Klub von muslimischen Fußballern, zumeist Türken.
Dem folgte 1914 Altay. Mit Gründung des türkischen Fußballverbandes 1923 gingen
dann auch in Izmir einige Neugründungen hervor. Darunter Izmirspor (1923), Altınordu
(1923), Göztepe (1925) und Bucaspor (1928). Sowohl Altınordu, als auch Göztepe
waren dabei Abspaltungen von Altay. Bei Göztepe waren ehemalige Spieler von
Alpay Initiatoren der Neugründung. Und was alle Klubs eint, aus der Anfangszeit
des Fußballs in Izmir, sie haben alle Erfahrungen in der 1. Liga gemacht. Karşıyaka
spielte dabei 16 Jahre und Göztepe 25 Jahre in der heute Süperlig genannten
höchsten Spielklasse. Aber das erfolgreichste Süperlig Team aus Izmir ist
Altay. 41 Jahre spielte das Team erstklassig und steht in der ewigen Tabelle
der Süperlig auf dem 8. Platz.
Schlagzeile der Tageszeitung Yeni Asir von 1981:" Weltrekord in der 2.Liga" |
Fans sorgen für Eintrag ins Guiness-Buch
Der Fußball in Izmir brachte
u.a. mit Mustafa Denizli berühmte Namen des türkischen Fußballs hervor und war
in den Anfangsjahren des türkischen Fußballs neben Istanbul das Zentrum des
Sports. Auch wenn die Istanbuler Klubs schnell sportlich dominierte, hatte der
Fußball in Izmir seinen Stand. Zuschauer Massen fanden und finden bis heute
schon lange vor dem Branding „Support your local Team“ gefallen an dem Kick. Derbys
zwischen Karşıyaka und Göztepe waren ähnlich umkämpft wie die Derbys in
Istanbul. In der Saison 1980/81 schaffte es das große Izmir-Derby sogar ins Guinness
Buch der Rekorde. Als das Spiel mit den meisten Zuschauern einer 2. Ligapartie.
80.000 Zuschauer sollen es gewesen sein. Und die Derbys ziehen immer noch, egal
in welcher Liga die Klubs aufeinandertreffen. Wie letzte Saison, wo beide Klubs
in der 2. Liga gegen einander ran mussten. Jeweils 20.000 Zuschauer sorgten für
Erstligastimmung. Und 20.000 Zuschauer sind für die „Neue Türkei“ sehr viel,
denn der türkische Fußball leidet seit Jahren unter einem immensen
Zuschauerschwund. Zu manchen Spielen in der Süperlig finden sich nur noch knapp
Tausend Zuschauer ein.
Halbfinale gegen AS Rom
Der Klub Göztepe ist jedoch
nicht nur wegen seiner 25 Jahre Erstklassigkeit bekannt. Göztepe ist der erste
Klub aus der Türkei, der es schaffte in einem Viertelfinale und Halbfinale
eines europäischen Wettbewerbes zu stehen. Schon 1969 gelang es Göztepe bis ins
Halbfinale des Messepokals zu kommen, dem Vorläufer der UEFA-Cups. Und nur ein
Jahr später konnte Göztepe erst vom AS Rom im Viertelfinale des Pokals der
Pokalsieger bezwungen werden. So wurde schon weit vor den großen Dreien aus
Istanbul europäische Geschichte in Izmir geschrieben. Doch während man sich
daran in Izmir noch gut erinnert, nimmt man davon außerhalb der Stadtgrenzen
heute kaum noch Notiz. Außerhalb des Landes weiß von diesem sportlichen Erfolg
kaum einer etwas. Und außerhalb der Lokalpresse wird heute kaum noch über die
Klubs aus Izmir berichtet.
Logo von Göztepe ist nicht Retro, sondern Old-School. Made in 1934 |
Der RB Leipzig Trick ala Turka
Zudem machte Göztepe in den
letzten Jahrzehnten eher negativ aus sich aufmerksam. Nach seiner letzten
Saison in der Süperlig 2002/2003 stieg der Klub in die 2. Liga ab. Und startete
eine beeindruckende Negativ-Serie mit aufeinanderfolgenden Abstiegen. Jahr für
Jahr, bis der Klub sich 2007 in der 5. klassigen Amateurliga wiederfand. So
tief angesiedelt spielten die rot-gelben noch nie. Und erst ein Trick unter der
Führung des Präsidenten und Energieproduzenten Imam Altınbaş brachte den Klub
wieder ins Profigeschäft zurück. Ein umstrittener Deal mit dem Klub Aliağaspor
aus Izmir sollte den Weg ebnen um an alte Zeiten anzuschließen. Der
millionenschwere Unternehmer sprang für das Startrecht seines Klubs in der 4.
Liga, als Sponsor beim Basketball Team von Aliağaspor ein. So wurde das Herrenteam von Aliağaspor um die
Farben und den Namen von Göztepe bereichert. Aliağaspor spielte dafür anstelle
von Göztepe in der Amateurliga weiter. Auch Proteste der Politik konnten den Deal
ala RB Leipzig nicht stoppen, obwohl Lokalpolitiker sogar mit Hungerstreik drohten.
Tradition wird gepflegt, auch beim Merchandising Bus Foto: CC BY-SA 4.0 by Sakhalinio |
Der Präsi als Held
Nur 3 Jahre später spielte
Göztepe dann schon wieder zweitklassig. Doch die Hoffnung von Altınbaş mit
Göztepe und seinem enormen Fanpotential in Izmir und darüber hinaus Geld zu
verdienen zerplatzte 2013 mit dem erneuten Abstieg in die 3. Liga. Die Fans,
die trotz des vorübergehenden Erfolges, nicht mit dem Präsidenten warm wurden
machten den einzigen Hoffnungsträger für den Abstieg verantwortlich. Enttäuscht
warf Altınbaş daraufhin das Handtuch. Mit seinem Abschied von der Vereinsführung
übernahm dann mit, Mehmet Sepil, quasi ein Kollege die Vereinsspitze. Denn auch
der Unternehmer Sepil ist reich geworden im Energiesektor, sei es als CEO oder
Teilhaber.
Doch Sepil versprüht mit
seinen langen Haaren und bunten Armbändern Credibility, die dem alten Chef
fehlte. Zudem waren Sepil und seine Familie schon seit Jahren als Göztepe-Fans
bekannt. Und spätestens mit seinem Einsatz für die Belange der Fans bei Auswärtsspielen
sorgte Sepil für lange Zeit nicht da gewesene gute Stimmung im Verein. Nachdem
er gestrandete rot-gelbe Fans bei einem Auswärtsspiel dann flugs auch noch in
seine Privatmaschine einlud, war ein neuer Held gefunden. Nach dem Wiederaufstieg 2015 basteltet man nun
in Izmir an weiteren Heldengeschichten. Der Platz an der Tabellenspitze zur
Winterpause soll da nur ein Zwischenschritt sein. Gelingen soll das mit einer
Mischung aus jung und alt. Im Kader sind sogar mehrere Spieler aus der eigenen
Jugend. Rückhalt bietet der erfahrene Neu-Ulmer Günay Güvenc. Vor ihm bringen
der 27 jährige Gencer Cansev und der 33 jährige Benjamin Fuchs Ruhe ins Spiel. Im Sturm sorgen Adis Jahovic und Umut Nayir
für Wirbel. Der mazedonische Nationalspieler erzielte schon 9 Treffer, Nayir
sogar schon 10 in der laufenden Saison.
Konkurrenz für Fener und Co.?
Ein Aufstieg dieses Klubs
könnte die Fußballwelt der Türkei nachhaltig verändern. Noch mehr als die Klubs
im Fahrwasser der Regierungspartei, AKP, wie Başakşehir und Osmanlıspor es
bisher nicht konnten. Zwar spielen beide
außerordentlich erfolgreich mit. Başakşehir führt die Süperlig weiterhin
ungeschlagen an und Osmanlıspor nimmt einen guten 6. Platz ein. Mit nur vier
Punkten Rückstand auf einen Platz der zur Teilnahme an der Europa League
berechtigt, in dem sie dieses Jahr, sogar erstmalig überwintern und im neuen
Jahr ihr wohl größtes Spiel in der Vereinsgeschichte gegen Olympiakos
bestreiten. Doch die Öffentlichkeit nimmt kaum Notiz von den Emporkömmlingen. Und
ob sich das langfristig ändern wird, bleibt abzuwarten. Auch wenn die Regierung
gerne Nähe zeigt, werden auch die Medien kein Interesse haben über die Klubs zu
berichten, solange sich zu Heimspielen nur gut 1000 Zuschauer einfinden. Denn
Auflage versprechen Schlagzeilen über Başakşehir und Osmanlıspor nicht.
Göztepe hingegen hat jedoch
schon jetzt einen höheren Zuschauerschnitt in der 2. Liga als die
vorhergenannten Klubs. Und bei einem Aufstieg kämen noch attraktivere Gegner in
die nach Süperlig Fußball lechzende Stadt. Nicht nur das, die Fans begleiten
ihr Team auch auswärts. Ungewohnt für die Türkei. Zudem wohnen in den meisten Teilen
des Landes auch ehemalige Izmiraner, und damit auch Göztepe-Fans, die sich den
Auftritt ihres Team in ihrer Wahlheimat dann nicht entgehen lassen. Die
Fankultur von Göztepe ist über Generationen gewachsen. Manche Fangruppen
existieren schon seit Jahrzehnten. Und auch der tiefe Fall bis hinunter in den
Amatuerfussball hat die Fanszene mit gemacht und überlebt.
40.000 beim letzten Spiel in Liga 3 (2011) Foto: CC BY-SA 3.0 by Inanc Bardakcioglu |
Fans bringen Rendite
Leidenschaft pur bei
Göztepe. Davon können auch Berliner Fans berichten. Bei einem
Freundschaftsspiel im Sommer 2003 zwischen Türkiyemspor und Göztepe in Berlin
gerieten zuerst nur die Spieler beider Teams aneinander. Drei Platzverweise in
der zweiten Spielhälfte brachten auch die Fans in Wallung und Türkiyemsporfans
bekamen die Leidenschaft einiger Göztepe Fans zu spüren. Der sportliche
Niedergang der letzten Jahre hat sich wohl nur so ertragen lassen. Doch gerade
die zu Fanatismus neigende Fanszene macht den Verein nun so lebendig, attraktiv
und anders. Ein Potential so groß, wie bei wohl kaum einem anderen Klub, der
nicht in der ersten Liga kickt. Izmir und die ganze westliche Türkei sehnt sich
fast nach einer neuen Erfolgsgeschichte. So zieht sich Göztepe-Präsi Sepil schon seit
einiger Zeit Stück für Stück aus dem Energiesektor zurück. Damit er mehr Zeit hat für sein Lieblingsprojekt, den Klub. Denn schon jetzt als Aktiengesellschaft
organisiert, geht es hier neben dem sportlichen Erfolg auch immer um Rendite. Und die
würde ein Aufstieg in die Süperlig endlich garantieren. Zudem könnte dann ein neuer, alter Slogan die Tribünen im Lande bereichern. Göz-Göz-Göztepe.
Weiterführende Artikel
Großes Derby in der Zweiten Liga
Wenn über Derbys in der Türkei berichtet wird, dann sind es zumeist die Partien zwischen den drei großen Istanbuler Klubs, von denen geschrieben wird. Zudem erhielten eine Zeitlang auch die Derbys der Hauptstadtklubs ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit. Zu einem Klassiker der ganz anderen Art, kam es am letzten Spieltag der 2. türkischen Liga (PTT 1.Lig), in Izmir.
tumds.blogspot.de - 10. November 2015, Dienstag