Seit dem Abschuss eines
russischen Jets über Syrien seitens der türkischen Armee am 24. November 2015
lagen die türkisch-russischen Beziehungen auf Eis. Boykotte, Schuldzuweisungen
und verbale Angriffe bestimmten das Verhältnis. So schnell die Krise kam, so
schnell nähern sich nun die beiden Staatschefs und damit auch die beiden Länder
wieder aneinander an. Der plötzliche Wandel und die zarte neue
türkisch-russische Freundschaft soll jetzt mit einem eiligst geplanten Fußball-Freundschaftsspiel
zwischen den Auswahlteams beider Länder am Mittwoch in Antalya
öffentlichkeitswirksam begangen werden.
Kaum ein Jahr ist vergangen
seit dem Abschuss des russischen Jets. Doch in diesem Zeitraum blieb nichts wie
es war im russisch-türkischen Verhältnis. Die türkische Seite dachte nicht an
eine von Russland geforderte Entschuldigung für den Abschuss des Jets und
wiederholte mehrmals, auch in Zukunft in einer ähnlichen Situation erneut mit
einem Abschuss zu handeln. Die russische Seite reagierte und zeigte mehr als
die kalte Schulter. Die bis Winter 2015 guten Beziehungen wurden von russischer
Seite aufgekündigt. Es hagelte Import-Verbote z.B. für türkisches Obst und
Gemüse. Ein staatlich gelenkter Tourismus Boykott gegenüber der Türkei wurde initiiert.
Ebenso wurde u.a. türkische
Bauunternehmer nicht mehr mit Aufträgen bedacht. Zu dem wurden über
regierungsnahe russische Medien Anschuldigen gegenüber der Türkei lanciert, denen
zu Folge die Türkei die religiöse Terrorbande Isis unterstützen würde. Auch
sportliche Begegnungen beider Länder wurden seit dem zu einem heissen Ritt in
einer Art kalter Kriegsstimmung.
(Siehe: Sport wird zum Spielball in türkisch-russischer Krise)
(Siehe: Sport wird zum Spielball in türkisch-russischer Krise)
Fußball-Fans mit brennenden und noch nicht brennenden türkischen Fahnen im Dez. 2015 in Moskau. Mehr dazu hier |
Dabei sind beide Länder eng miteinander verknüpft, nicht nur das Russland für die Importeure in der Türkei ein wichtiger Absatzmarkt ist, auch der türkische Tourismus lebt von seinen russischen Kunden. Ebenso im Energie Bereich. Beide Länder brauchen einander. Russland liefert das Gas, welches die Türkei dringend braucht. Zudem ist für den Bau eines Atomkraftwerkes im türkischen Akkuyu ein russisches Konsortium verantwortlich.
Fußballspiel soll Freundschaft besiegeln
Nun hat die
türkisch-russische Krise, so schnell wie sie entstand ihr Ende gefunden. Die
türkische Seite entschuldigte sich und ein Besuch Erdogans bei Putin Anfang des
Monats rundete den neuen Freundschaftsprozess ab. So braucht man sich über
Energiefragen in der Türkei in naher Zukunft keine Sorgen mehr zu machen. Das
Gas wird auch in Zukunft fließen und das Atomkraftwerk soll nun schnell auf den
Weg gebracht werden. Ebenso wurde der Tourismus-Boykott in die Türkei
aufgehoben. Enorm wichtig, denn bis 2015 stellten die Russen noch hinter den Deutschen mit 3.649.000 Besuchern die Nr. 2 in der Türkei. Dieser Markt war komplett weggebrochen. Bis Mai 2016 besuchten 96 % weniger Russen Hot-Spot Antalya als 2015. Nun soll der Rubel also in Antalya und Umgebung wieder rollen.
Анталья Арена за сутки до матча Турция - Россия. Его тут подают как матч дружбы pic.twitter.com/HunfRlMVDO— Артем Локалов (@lokalov) 30. August 2016
Türkisch-Russische Freundschaftsschals warten auf Abnehmer an der Antalya Arena
Um den schnellen Wechsel im beiderseitigen Verhältnis auch der jeweiligen eigenen Bevölkerung, die durch monatelange Propaganda Auswüchse der jeweiligen Regierungsmedien aufgeheizt wurde, schmackhaft zu machen, wurden bei dem Putin-Erdogan Treffen die Weichen für das nun stattfindende Freundschaftsspiel gestellt. Das die Eiszeit vorbei ist, sollen die jeweiligen Fußballauswahlteams unter Beweis stellen. Live und in Farbe. Zuletzt spielten beide Team vor 18 Jahren gegeneinander.
Antalya: Spielort mit Symbolkraft
Als Spielort wurde Antalya ausgewählt, denn hier im Touri-Paradies der Türkei wohnen nicht nur ca.
40.000 russische Bürger dauerhaft. Noch vor Beginn der Krise wirkten weite
Teile von West-Antalya, wie eine türkische-russische Parallelgesellschaft. Heute
hingegen sind Orte wie Kemer fast ausgestorben. Hier soll der Fußball in
Antalya nun seine Wirkung entfachen und den potentiellen russischen Touristen
zeigen: Eure zweite Heimat ist wieder besuchbar! Den türkischen Händlern soll, im Gegensatz dazu, Mut gemacht werden für den Rest der Saison und auf den Sommer 2017. Das soll dann wieder ein Sommer werden, wie vor der Abschuss-Krise, wo die Russen noch lernten was Dostluk heisst und die Türken дружба (Druschba).
So können sich Antalya Touristen und
Groundhopper morgen vom harten Strandurlaub bei 38 Grad mal eine Pause gönnen und das Ende einer politischen Eiszeit live verfolgen. Damit das Stadion voll wird,
haben die Organisatoren die Preise auf niedrig Niveau gesetzt. Das billigste
Ticket gibt es schon für umgerechnet 3 Euro und auch das teuerste ist
erschwinglich. Es kostet nur 15.
Terim setzt auf neues und junges Team
Für die Türkei ist die
Partie gegen Russland auch sportlich von Bedeutung. Während
Russland als Gastgeber der
WM 2018 keine Qualifikationsspiele zu bestreiten hat, geht es für die Türkei am
5. September im ersten Gruppenspiel gegen Kroatien schon wieder um Punkte in
der Quali. Dabei hat das Team noch an dem, zu mindestens in der Öffentlichkeit,
als schwach wahrgenommen Abschneiden bei der EM in Frankreich zu arbeiten. Und
das, obwohl der türkische Beckenbauer, aka Auswahlcoach Fatih Terim, nicht müde
wird zu betonen, dass allein die Qualifikation zur EM in Frankreich schon ein
Erfolg gewesen sei. Die mit Spanien, Kroatien und der tschechischen Republik gespickten
Gruppe sei einfach sehr stark besetzt gewesen.
Trotzdem vollzieht Terim
jetzt einen Wandel. Neben dem monetär gesehen wertvollsten Spieler der
türkischen Fußballgeschichte, Arda Turan, sind mit Gökhan Gönül, Selçuk İnan, Semih Kaya, Hakan Balta, Caner Erkin und Burak
Yılmaz gleich 6 weitere Spieler aus dem EM-Aufgebot nicht mehr dabei. Er
setzt auf junge Spieler und holt Salih
Uçan, Ahmet Oğuz, Çağlar
Söyüncü, Kaan Ayhan, İrfan Can Kahveci, Okay Yokuşlu, Cengiz Ünder und Enes
Ünal ins Team. Die Bundesliga ist mit Nuri Şahin (BVB), Emre Mor (BVB) Hakan
Calhanoglu (Leverkusen), Kaan Ayhan
(Schalke), Yunus Malli (Mainz) Caglar Söyüncü (Freiburg) sechsmal vetreten. Auf
Deutsch unterhalten könnten sie sich mit dem wieder berufenen Gökhan Töre, dem
Ex-Frankfurter Cenk Tosun, dem Düsseldorfer Olcay Şahan und dem Ex-Herthaner Tolga Ciğerci. Dieser rutschte erst diese Woche
in das Aufgebot, aufgrund der Verletzung von Oğuzhan Özyakup. Doch empfahl er sich bei den ersten beiden
Saisonspielen für Galatasaray mit Traumqouten von über 90% ankommenden Pässen.
Putin kommt nicht
Ohne einen kleinen
Wehrmutstropfen wird jedoch auch die öffentliche Zurschaustellung der
Freundschaft nicht von statten gehen. Türkische regierungsnahe Medien vermeldeten
seit Wochen das auch Putin zu dem Kick am Mittelmeer anreisen würde. Das wurde
nun offiziell dementiert. Putin würde von zu Hause mit seinem Team mitfiebern,
heisst es. Vielleicht auch besser so, denn was Putin im Austragungsort der
neuen Antalya Arena neben Fußball und Politik noch zu sehen bekommen könnte, würde ihm nicht so sehr
in den Kram passen. Denn das Stadion versorgt sich selbst mit Energie und zwar
durch Sonnenenergie. Eine Energiequelle, die clever genutzt die Türkei
langfristig aus der Energieabhängigkeit gegenüber Russland führen könnte. Doch
das ist noch Zukunftsmusik. Erst mal sind wieder Gas, Atom und Fußball
angesagt. Die Sonne scheint vorerst nur für die heiß erwarteten russischen
Türkei Urlauber.
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