Deniz Naki
und sein Klub Amed Sportif Faaliyetler sorgen mit dem Einzug ins Viertelfinale
des türkischen Pokals für eine sportliche Sensation. Als einziger
Nicht-Süperligist schafften sie die Qualifikation. Nun bescherte die Auslosung
fürs Viertelfinale ein Hammerlos. Nächste Woche trifft der Klub aus Diyarbakir
auf den Serienmeister Fenerbahçe.
Der
türkische Pokal führt in der Türkei, trotz regelmäßiger Modi-Änderungen ein
Schattendasein. Die Spiele der Pokalrunde finden zu meist vor leeren Rängen
statt und das obwohl das zuschauerhemmende elektronische E-Ticket, Passolig,
hier keine Gültigkeit hat. Mit dem Einzug des Drittligisten Amed Spor
Faaliyetler hat der Pokal nun jedoch seine Sensation. Deniz Naki feiert mit seinem Klub, den
größten Erfolg in der Vereinsgeschichte. Zudem ist der Einzug des Drittligisten
als einziger Klub aus dem Osten des Landes auch ein Politikum.
Alter Klub mit neuem Namen
Seit Anfang
der Saison ist die St. Pauli Ikone in Diyarbakır am Start und mit Amed Sportif Faaliyetler hat er bei einem Klub angeheuert, der wie kaum ein anderer in der
Türkei polarisiert. Allein die
Namensgebung ist ein Politikum. Zum Zeitpunkt seines Wechsels hieß der Klub zwar
noch schlicht Diyarbakır Büyükşehir Belediyespor (Verein der Großstadt Diyarbakır). Der Namenszusatz Belediye zeugt davon, dass
der Verein einer Stadtverwaltung oder hier einer Großstadtverwaltung gehört (siehe
Deniz Naki ist zurück ). Das ist nicht ungewöhnlich in der Türkei, wo viele Vereine von
Stadtverwaltungen geleitet werden. Eine
Art des öffentlich-rechtlichen Fußballs. Ebenso nicht ungewöhnlich ist, dass
dann die jeweiligen Stadtverwaltungen auch ihre politischen Einstellungen in
die Vereinspolitik der Vereine einfließen lassen. Die Stadtverwaltung in
Diyarbakir wird z.B. durch die linke Partei HDP dominiert. Die HDP ist die
Partei der kurdischen Bewegung und besonders im Osten des Landes stark. So ist
auch die aktuelle Umbenennung von Diyarbakır Büyükşehir Belediyespor in Amed
Sportif Faaliyetler nur in dem Kontext des türkisch-kurdischen Konflikts zu
verstehen. Denn Amed ist der kurdische Name für Diyarbakır. Ganz so leicht ging
der Namenswechsel dann nicht von statten. Anträge beim Verband wurden
abgelehnt, Widersprüche eingelegt. Nach Verpflichtung von Deniz Naki wurde
jedoch eine Einigung erzielt und ein neuer genehmigter Name für Diyarbakır
Büyükşehir Belediyespor präsentiert: Amed Sportif Faaliyetler (Amed sportliche Aktivitäten). Verein und Fans halten jedoch inoffiziell an dem eigentlichen
Wunschnamen Amedspor fest. Die offizielle Homepage ist unter amedspor.com.tr registriert und auf der Page nennt man sich auch so. Mit dem Namen, der vom Verband abgelehnt wurde. Ein Politikum
weiterhin.
Namensstreit: Offiziell Amed Sportif Faaliyetler, nennt sich der Klub selbst Amedspor |
Für ein Politikum hätte es dabei einer Namensänderung gar nicht
bedurft. Wurden in den letzten Jahrzehnten doch schon zuvor Teams aus dem
Osten, trotz türkischen Vereinsnamens oft Ziel von nationalistischen
motivierten Fananfeindungen. Auftritte des heute nicht mehr existenten Klubs Diyarbakırspor
gerieten in der Süperlig zuweilen zu einem Spießrutenlaufen. Klubs aus dem Osten
des Landes werden von vielen Stadiongängern im Westen des Landes flugs mit der
PKK gleich gesetzt und Fans und Spieler der Klubs aus dem Osten dementsprechend
angefeindet. Mit dem erneuten Entflammen von militärischen Auseinandersetzungen
zwischen dem türkischen Staat und PKK nahen Gruppen im Sommer 2015 war
abzusehen, dass dies sich auch im Fußball widerspiegeln würde. Dadurch das Teams aus dem Osten z.Zt. nur unterklassig vertreten sind, spielte sich dieser
Konflikt jedoch außerhalb des Blickfeldes der Öffentlichkeit ab. Mit dem aktuellen sportlichen Erfolg von Amed wurde die prekäre Situation sichtbar.
Der Weg ins Viertelfinale
Amed qualifizierte sich eindrucksvoll. Ungeschlagen in allen
bisherigen acht Partien des Wettbewerbes, sowohl in der KO-Runde, als auch in
den Gruppenspielen. Im letzten Gruppenspiel der Gruppe A traf Amed dann auf den
Süperligisten Başakşehirspor. Im Hinspiel trennten sich beide Teams 3:3. Und es
ging im Rückspiel um den Gruppensieg. Mit einem Sieg wäre Amed Spitzenreiter
geworden und hätte im Achtelfinale eine vermeintlich leichteren Gegner
bekommen. Der Gegner, Başakşehir aus Istanbul, ist ebenfalls ein Verein der einer Stadtverwaltung
zu geordnet ist. Hier ist es die Regierungspartei AKP die den Verein lenkt. Amed
führte dann im entscheidenden Duell Ende Januar schnell mit 2:0. Erst in den Schlußminuten
gelang den Gastgebern durch den ehemaligen Nationalspieler Semih Şentürk
der 2:2 Ausgleich. Dieser zelebrierte seinen Torjubel und die Freude über den
Gruppensieg mit einem Soldatengruß vor der Kurve der Amed-Fans. Für Şentürk
eine Solidaritätserklärung an die Soldaten der türkischen Armee, die z.Zt. unter
vielen Opfern im Zuge der Auseinandersetzung mit PKK nahen Gruppen zu leiden hat.
Für viele Amed-Fans jedoch eine Provokation, die sich in eine Atmosphäre von Anfeindungen
fügte. Die Folge Empörung im Amed-Block. Polizeieinsatz und Festnahmen. Das Şentürk
selbst seinen Militärdienst nicht abgeleistet hat, ist dann nur noch eine
paradoxe Randnotiz.
Zusammenfassung Başakşehir - Amed Sportif Faaliyetler 2:2
Im Achtelfinale wartete dann das Gastspiel am Sonntag bei
Bursaspor. In die aufgeheizte sportliche und politische Atmosphäre platzte eine
Internetankündigung von Bursaspor-Fans in der verbal scharf gegen Fans von Amed
geschossen wurde. Der Verband reagierte zügig und verhängte ein Gästefanverbot.
Amed spielte zwar zuvor noch nie in Bursa, doch bei den Fans von Bursa sind die
Ereignisse aus den Spielen mit dem ehemaligen Klub Diyarbakırspor
noch omnipräsent. In der Saison 2009/2010 gab es zuerst Auseinandersetzungen
auf den Rängen in Bursa. Beim Rückspiel in Diyarbakır, ausgetragen ohne
Gästefans, wurden Spieler und Funktionäre von Bursa dann angegriffen. Das Spiel
musste abgebrochen werden und nachträgliche wurde es für Bursa gewertet. All dies
wurde nun auch im Vorfeld auf Amed projiziert. Trotz der Nicht-Anwesenheit von
Amed-Fans in Bursa kam es am Sonntag im Stadion dann immer wieder zu Tumulten
auf den Tribünen. Einzelne Bursa-Fans machten Jagd auf vermeintliche ins
Stadion gelangte Amed-Fans. Trotz der fehlenden Fan-Unterstützung und der
feindlichen Stimmung gelang Amed die sportliche Sensation. Mit 2:1 wurde Bursa
geschlagen. Das 2:0 durch Deniz Naki besiegelte schon frühzeitig das Aus von
Bursa. Amed war spielerisch und kämpferisch nicht beizukommen. Der
Anschlußtreffer viel auch erst in den Schlußminuten. Die erste Niederlage für
Bursaspor im gerade erst eingeweihten neuen Stadion ließ keine Freude
aufkommen. In Diyabakir hingegen feierten kurz nach Spielende hunderte von Fans
dann die Sensation, bis die Polizei eingriff und wegen Slogans für die PKK die
Feierlichkeiten mit Tränengas und Wasserwerfern auflöste.
Zusammenfassung Bursaspor - Amed Sportif Faaliyetler 2:2
Die Begegnung zwischen Bursaspor und Amed wurde so schon im Vorfeld
zu etwas wie einem nationalen Länderspiel hochstilisiert. Fans aus dem ganzen
Land solidarisierten sich mit Bursa, gegen die PKK und kurdische militante Separatisten.
Auch der Sprecher des übertragenden Senders konnte seine Sympathien kaum
verheimlichen. Zwischendurch betitelte er, das Team von Amed sogar nur als
„onlar“, also die anderen. Kein Wunder, dass die Fans im Stadion auch brutale
Fouls an Amed-Spielern dann fast schon frenetisch abfeierten und sich im
Stadion viele Türkei-Fahnen fanden, sowie wie bei National-Spielen „Türkiye,
Türkiye“ durch das Rund hallten. Auch nur eine Randnotiz, das in der Startelf
bei Bursaspor acht Ausländer standen, hingegen bei Amed ausschließlich Spieler
aus der Türkei. Das die Wahrnehmung und
Zuschreibungen gegenüber Amed Spor Faaliyetler jedoch nicht nur einseitig sind,
zeigt auch die Art und Weise wie die Fans selbst im Vorfeld des Achtelfinales
warben. Auf unzähligen Twitter-Accounts, die auf dem ersten Blick wie
Vereinsaccounts wirken, aber nur Fanaccounts sind, wurde unter dem Hashtag #HalkınİçinSaldırAmedspor
(Greife an für das Volk) fleißig ethnisiert.
Deniz Naki bleibt Deniz
In einem Klub, der sich politisch so wo weit aus dem Fenster
hängt wie Amed fühlt sich Deniz Naki gut aufgenommen. Kaum verwunderlich, das
er nach seinem Treffer auch verbal und per Ikonen-Geste nachlegt. Sein Tattoo
„Azadi“ am Unteram wurde zum Symbol des Erfolges und des Kampfes seines Klubs. „Azadi“
ist Kurdisch und heißt Freiheit. Mit einer kämpferischen und politischen Erklärung
über Facebook widmet der ehemalige Kiezkicker seinen Treffer und den Sieg dann
auch den Opfern der Auseinandersetzungen im Osten des Landes.
Deniz Naki widmet den Sieg den Opfern der Auseinandersetzungen im Osten des Landes |
Fenerbahçe kommt
Doch
der sportliche Höhenflug, des in der 3. Liga nur auf Platz 8 stehenden Klubs
könnte nun schnell vorbei sein. Obwohl das Team Qualität gegen die
Süperligisten Başakşehir und Bursaspor eindrucksvoll bewiesen hat, wird dem
Newcomer gegen Fenerbahçe kaum eine Chance eingeräumt. Und auch hier steht
neben dem sportlichen plötzlich auch eine politische Note auf dem Platz. Wie
werden die Fans von Fenerbahçe in dieser aufgeheizten Atmosphäre im Land
reagieren? Schon jetzt gibt es im Internet Aufrufe von Fangruppen landesweit
Fenerbahçe gegen Amed zu unterstützen. Auch von den verhassten Galatasaray-Fans.
Zuschauerverbot
Und
der Verband reagierte schnell. Knapp 3 Stunden nach Auslosung der Pokalpartie,
bestrafte der Verband Amed mit einem Spiel vor leeren Rängen. Und dies soll das
Spiel gegen Fener sein. Grund: Das Verhalten der Fans beim Gastspiel bei
Başakşehir. Und auch Deniz Naki wird wohl nicht dabei sein, denn seine
Äußerungen per Facebook wurden vom Verband moniert. Ein Disziplinarverfahren
aufgrund von Veröffentlichungen entgegen der Fairness und wegen separatistischer
und ideologischer Propaganda wurde eingeleitet.
Das
im März dann beim Rückspiel Fans von Amed bei Fenerbahçe erscheinen dürfen
scheint zudem aussichtslos. Die Auseinandersetzungen im Osten des Landes
haben für derart viel Sprengstoff im ganzen Land gesorgt, das eine
ordnungsgemäße Durchführung eines Spiels dieserart kaum noch möglich erscheint.
Erschreckende Parallelen tun sich auf zu dem Beginn des Bürgerkrieges in Jugoslawien,
auch dort spielten Fanauseinandersetzungen mit Hintergrund des ethnischen
Backgrounds eine gesellschaftlich eskalierende Rolle.
Viertelfinale auf einen Blick
Medipol Başakşehir - Çaykur Rizespor
Akhisar Belediyespor - Galatasaray
Beşiktaş - Torku Konyaspor
Amed Sportif Faaliyetler - Fenerbahçe
Alle Spiele werden mit Hin- und Rückspiel ausgetragen. Im
Halbfinale treffen dann die Sieger aus Medipol Başakşehir-Çaykur Rizespor und
Akhisar Belediyespor-Galatasaray, sowie von Beşiktaş-Torku Konyaspor und Amed
Sportif Faaliyetler-Fenerbahçe aufeinander. Die Hinspiele des Viertefinales
sind für den 9.,10. und 11. Februar angesetzt. Die Rückspiel für den 1., 2. und
3. März. Die Halfinals finden Mitte April und Anfang Mai statt. Das Finale wird
am 25. Mai in Antalya in der neuen Solar-Arena ausgetragen. (siehe Antalya-Arena: Sonnenstadion in der Touri-Hochburg) Zu allen Spielen des türkischen Pokals können Tickets auch ohne
Passolig-System erworben werden. Eine Möglichkeit für Touristen und
Groundhopper auch mal ein Spiel in der Türkei zu erleben.