Einen vorläufigen Höhepunkt von Gewalt im Zusammenhang mit Fußball gab es wohl am Sonnabendabend in der Türkei. Nach dem 5:1 Sieg des Istanbuler Süperligisten Fenerbahçe Istanbul beim Schwarzmeerclub Rizespor befanden sich die Istanbuler auf dem Weg zum Flughafen nach Trabzon. Auf der Strecke dorthin wurde der Teambus von Fenerbahçe mit scharfer Munition beschossen. Der Fahrer wurde durch Schüsse auf die Frontscheibe schwer getroffen.
Nach ersten Zeugenaussagen per Internet und dem vereinseigenen TV-Sender FBTV, soll mit einer Pumpgun gezielt auf den Fahrer des Busses geschossen worden sein. Der Bus fuhr zur Tatzeit über eine Straßenüberführung und wurde in einer Kurve Ziel des oder der Schützen. Der Fahrer soll aufgrund der Schüsse sein Bewußtsein verloren haben und der Bus konnte nur durch das Eingreifen von Mitfahrern gebremst werden. Der Fahrer wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Laut FBTV soll keine Lebensgefahr bestehen.
Eine Feindschaft mit Geschichte
Für Fenerbahçe Fans ist der/die Täter schnell ausgemacht, so polterte der Präsident von Trabzonspor İbrahim Hacıosmanoğlu in der Vergangenheit wiederholt gegen Fenerbahçe. Der Präsident soll mit seinen Äußerungen Fans aufgehetzt haben und Fenerbahçe zur Zielscheibe erklärt haben. Schon zuvor wurde der Bus der Istanbuler in Trabzonspor von Fans angegriffen. Da blieb es noch bei Steinen, doch zu mindestens einmal soll auch schon eine Waffe auf die Delegation von Fenerbahçe gerichtet worden sein. Hintergrund der aktuellen Feindschaft der beiden ist die Saison 2010-2011. Hier soll Fenerbahçe bei Spielverschiebungen beteiligt gewesen sein. Von der UEFA wurde der Meister von 2011 aufgrund von Verschiebungen für drei Jahre von allen Spielen gesperrt. Trabzonspor, damals Zweiter fordert seitdem die offizielle Zuerkennung des Titels. Fenerbahçe hingegen, betrachtet die Anschuldigungen, als eine große Verschwörung und sieht den Klub und den Präsidenten zu Unrecht verurteilt. Aufgrund dieser Vorgeschichte ist bei Fenerbahçe klar: Dies war ein gezielter Anschlag auf Fenerbahçe, von einer Verbindung der Täter zu Trabzonspor wird ausgegangen. Zurückgeführt wird dies auf die Hasssprache des Klubpräsidenten von Trabzonspor.
Gewalt zurück auf der Tagesordnung
Immer wieder wird die Gesellschaft mit Gewaltaktionen im Rahmen von Fußballspielen konfrontiert. Mit verschiedenen Maßnahmen wird seit Jahren versucht die im Rahmen von Fanfeindschaften zwischen den vier großen Vereinen (Fenerbahçe, Galatasaray, Beşiktaş und Trabzonspor) aufkommende Gewalt einzudämmen. Mit Sicherheitspakten, Vereinsstrafen und zuletzt mit der Einführung einer personalisierten Ticketvergabe (Passolig) ist die Gewalt in den Stadien der Profi-Ligen erstmals erheblich zurückgegangen. Nebeneffekt der Passolig: ein immenser Zuschauerschwund, oft erreicht das Zuschauerinteresse nun nicht mal mehr bundesdeutsches Zweitliganiveau.
Mit dem Anschlag von heute Abend wird die Diskussion um Fanatismus und Gewalt im türkischen Fußball neu beginnen. Fenerbahçes Pressesprecher, Mahmut Uslu, kündigt an das der Klub nicht mehr schweigen wird. „Eine Passolig einzuführen reiche nicht“ kritisierte er die bisherigen Maßnahmen gegenüber Gewalt im Rahmen von Fußball. Viele Vereine in der Türkei reagierten schon in der Nacht schnell. So haben u.a. Galatasaray, der heutige Gegner Rizepsor, als auch Trabzonspor den Anschlag scharf verurteilt. Der türkische Fußballverband reagiert noch in der Nacht und bezeichnet den Anschlag als Anschlag auf den gesamten Fußball und fordert Medien und Klubs zur Besonnenheit auf. Ein vorübergehendes Aussetzen des Spielbetriebes ähnlich wie in Griechenland ist nun im Bereich des Möglichen.
Fenerbahçe Fans rufen im Internet derweil dazu auf zum Istanbuler-Flughafen Sabiha Gökçen zu fahren um dem in der Nacht dort erwarteten Team Solidarität zu zeigen. Die Ankunft des Teams wird gegen 2 Uhr nachts Ortszeit erwartet. FBTV überträgt live.
UPDATE 11.4.2015
Wie geahnt, hat der türkische Fußballverband nach den Schüssen auf den Fenerbahçe - Teambus mit Spielabsagen reagiert. Zuerst wurden die Pokalspiele für Mitte der Woche abgesagt, daraufhin auch der komplette Spieltag der Süperlig dieses Wochenende.Zudem kündigte Fenerbahçe mehrmals an nicht am Spielbetrieb teilzunehmen bis der Fall aufgeklärt sei. Ganz andere Konsequenzen zog die Familie von Mustafa Sow. Die Angehörigen des Fenerbahçe-Stars haben die Türkei erst einmal verlassen. Türkische Zeitungen berichten zudem von spanischen Medien die Fußballer davor warnen in die Türkei zu gehen. Ein weiteren gewalttätigen Angriff im Rahmen von Sportveranstaltungen gab es dann noch Mitte der Woche, als ein Bus vom Beşiktaş-Handball-Team in der südtürkischen Stadt Mersin mit Steinen beworfen wurde.
Der ehemalige Fenerbahce Präsident Ali Şen ließ derweil Medien gegenüber verlauten, dass er die Schüsse als terroristischen Akt versteht. Vom Fußball-Verband und den Vereinen werden die Schüsse als Angriff auf den türkischen Fußball in seiner Gesamtheit gewertet. Obwohl bis jetzt alles nur reine Spekulation ist. Es gab zwar vorläufige Festnahmen aufgrund von Facebookeinträgen. Doch ohne neue Erkenntnisse. Zudem erfreuen sich in der Türkei Verschwörungstheorien hoher Beliebtheit. Die Verfasser dieser Theorien haben jetzt Hochkonjunktur.
Am morgigen Sonntag um 18 Uhr Ortszeit empfängt Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan eine Delegation bestehend aus Verbandsfunktionären und den Kapitänen der türkischen Superlig. In Anbetracht der Tatsache das Erdoğan, obwohl er ja eigentlich nur Staatspräsident ist, immer noch erheblichen Einfluß auf das politische Tagesgeschehen nimmt, wird mit Spannung erwartet, ob bei diesem Treffen weitere Maßnahmen, die über die Absage der Spiele diese Woche hinausgehen, angekündigt werden.
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