Bei uns bzw. bei denen „ist Fußball wie eine Religion“. Wie oft hat man dieses Satz schon gehört, gilt er doch bei Brasilianern ebenso wie bei Südafrikanern, Kroaten oder – vergleicht man die schwindende Anzahl der Kirchgänger mit den steigenden Zuschauerzahlen in der Bundesliga – am Ende auch bei uns Deutschen.
Ein Tag in Buenos Aires jedoch zeigt, dass Fußball auch mehr sein kann als Religion. Fußball ist überall, Fußball ist Thema Nr. 1, Fußball ist alles, was zählt. Die Stadt, die als Welthauptstadt des Fußballs gilt, atmet Bälle, Taktiken und Spielzüge. Vierzehn der zweiundzwanzig Vereine der ersten argentinischen Liga kommen aus Buneos Aires und jeder einzelne wird hingebungsvoll vergöttert, sei es River Plate, die Boca Juniors oder auch „kleinere“ Vereine wie Racing oder Independiente. Welche Magie dieser geballte Fußballwahn ausübt, aber auch welche Konflikte dadurch in einer Stadt mit gefühlt 500 Derbys pro Saison aufkommen, zeigt z.B. die Dokumentation „Ekstase und Schock – Die Fußballhauptstadt Buenos Aires“ recht eindrucksvoll.
Aber all die Rivalität, die der argentinische Fußball nach innen ausstrahlt, wird in den nächsten Wochen keine Rolle spielen, denn da thront über allem nur eines: La Albiceleste! Stellt man sich vor, all die Energie, die die Argentinier in ihren alltäglichen Fußball einbringen, wird für vier Wochen gebündelt und auf die „Weiß-Himmelblauen“ übertragen, muss einem fast Angst und Bange um eine ganze Nation werden, egal was passiert. Wie das dann auf den Rängen aussehen kann, sieht man z.B. in Ansätzen hier (Man beachte den prominenten Mitsinger und den verdutzten Holländer):
Ein weiterer Grund, warum Fußball in Argentinien mehr ist als eine Religion, zeigt sich in der Verehrung ihrer Gottheit. In den Straßen von Buenos Aires hängt sie in jedem Laden, ziert 9/10 aller Souvenirs und strahlt von jeder Hauswand. Die Rede ist von „El Diez“, „Pibe de Oro“, der „Hand Gottes“, the one and only: Diego Armando Maradona. Dem kleinen, leicht pummeligen Ballkünstler mit dem Hang zu leistungsfördernden und bewusstseinserweiternden Mittelchen wird eine Vergötterung zuteil, der der Begriff kaum gerecht wird, da wohl jeder Gott dieser Welt im Verhältnis nur neidisch sein kann. Und auch die große Anzahl der „Maradonistas“ rund um den Globus unterstützt die Annahme, schaut euch nur mal die Anzahl der Diegos an, die heute in Neapel registriert sind und jeden Morgen das "Diego unser" beten. Es gibt nicht nur ein Lied über Maradona, es gibt sogar eine „Top Ten der besten Lieder über Maradona“. Mein Favorit ist Manu Chao, „La vida tombola“. Das Leben ist eine Lotterie. Treffsichere Poesie.
Heute, so könnte man meinen, sollte längst ein anderer argentinischer Fußballer den Gottesstatus erreicht haben: Lionel Messi. In den letzten Jahren (abgesehen von diesem) stets zum besten Fußballer des Universums gekürt, ist er prädestiniert dafür, Maradona vom Gottesthron zu stoßen. Allerdings wollte ihm das bisher nicht so recht gelingen, konnten die Leistungen von „La Pulga“ (dem Floh) im Dress der Albiceleste doch nie so richtig an die beim FC Barcelona anknüpfen. Ob es am hohen Erwartungsdruck oder dem abweichenden Spielsystem liegt, weiß keiner genau. Aber es wird definitiv Zeit, dass sich das ändert. Der wertvollste Spieler der Welt ist er weiterhin mit großem Abstand – Da kann CR7 so viel posen, wie er will und Real noch so viel für ihre walisische Elfe hinblättern.
So, genug Blabla. Kommen wir zur entscheidenden Frage hier bei der VAHA-WM: Warum wird Argentinien Weltmeister? Dazu gibt es ein paar Hypothesen:
Hypothese 1 – Übernatürliche Kräfte
Wie schon im ersten Absatz beschrieben, lässt sich für unsereins kaum erahnen, welche Energie und grenzenlose Euphorie bei den Fans der „Gauchos“ (nennt sich oder die Mannschaft in Argentinien keine Sau) freigesetzt wird, wenn es endlich los geht. Schlagkräftig ist die Unterstützung bisweilen auch. Wenn dazu auch noch der Übergott mit Sixpack antanzt und den Sieg prophezeit kann eigentlich kaum noch was schiefgehen.
Hypothese 2 – Der Südamerika-Faktor
Fakt 1: Weltmeisterschaften in Südamerika können nur südamerikanische Teams gewinnen.
Fakt 2: Brasilien kann zuhause keine WM gewinnen.
Fakt 3: Argentinien ist mindestens die zweitbeste Mannschaft Südamerikas.
Fakt 1+2+3= Argentinien wird Weltmeister
Nicht zu vergessen, die Rivalität zwischen beiden Mannschaften und wie süß der Erfolg schmeckt, wenn der Cup im Land des Erzrivalen geholt wird.
Hypothese 3 – Die ÜberOffensive
Ein schöner Vergleich ist bspsw. die Stürmer-Spalte im deutschen und argentinischen Kader. Unserem alten Haudegen Miro Klose stehen auf argentinischer Seite Namen wie Gonzalo Higuaín, Ezequiel Lavezzi, Sergio Agüero und natürlich Messi gegenüber. Einen Carlos Tevez ließ man gar ganz galant gar zuhause. Ein Traum, sich so etwas leisten zu können. Dahinter lauert unter anderem Angel di Maria, für mich der überragende Akteur im Champions League Finale. Und auch wenn sich die Defensive nicht ganz so prominent liest, sind mit Zabaleta und Garay auch zwei Kanten dabei, auf die kaum ein Team der Welt verzichten könnte.
Hypothese 4 – It’s Messi Time
Hört sich im ersten Moment komisch an, aber Messis kleines Tief in der vergangenen Saison könnte der ausschlaggebende Faktor für Argentiniens dritten WM-Titel werden. Es ist ein wenig ruhig geworden um den kleinen Floh, was wiederum zur Folge haben könnte, dass er endlich einmal entspannt aufspielen kann, ohne die maradonsche Last auf seinen Schultern. Außerdem hat er nach dem verlorenen Goldenen Ball noch etwas gut zu machen. WM-MVP wäre da doch schon etwas. Und wer sonst, als Lionel Messi hätte diesen Titel verdient (ohne jetzt gespielt zu haben)? Neymar? Ich geh mal kurz brechen.