Wie der DFB seine eigenen „Inländer“ schuf.
Manche Begriffe des fußballerischen Sprachkosmos können tausende Assoziationen bewirken. Der ‚Fußballdeutsche’ ist einer von ihnen: Handelt es sich hierbei um einen DFB-Fan, der sein Handtuch schon Stunden, nein Tage vor Spielbeginn auf der Fanmeile auslegt? Ist er ein jemand, der sich die Nationalfarben nicht ansteckt, es sei denn, wir haben WM? Oder handelt es sich bei ihm um den Stereotyp des kantigen Abwehrhünen, der rechts einen ungelenken Holzfuß und links eine fleischerne Gehhilfe trägt, dem Kurzpassspiel ein Fremdwort ist, da er durch „langen Hafer“ sowie Kampfgeist zu bestechen weiß?
Nichts von alledem. Um 1990 herum stand ein kleiner Migrantenverein aus Berlin-Kreuzberg namens Türkiyemspor mehrfach kurz vor dem Aufstieg in die 2. Bundesliga. Doch galt damals noch die Regel, dass pro Spiel nur drei Nicht-EU-Bürger in der Startelf stehen durften. Dies wäre dem Kader, der zwar mehrheitlich mit Spielern aus Berlin besetzt war, die aufgrund der damaligen Einwanderungsgesetzte jedoch nur den türkischen Pass besaßen, zum Verhängnis geworden. Der DFB stand unter Handlungsdruck und schuf kurzerhand die Kategorie des „Fußballdeutschen“. Dieser galt in der Welt des Leders als Inländer, wenn er fünf Jahre ununterbrochen für deutsche Vereine gespielt hatte, drei davon in seiner Jugend. Dies wiederum traf auf die meisten Spieler Türkiyemspors zu, waren sie doch zumeist Kinder von Arbeitsmigranten aus der Türkei und hatten, wenn schon nicht hier geboren, zumindest ihre Jugend hierzulande verbracht. Erstaunlich bleibt dabei, wie der DFB schon zu Beginn der 1990er Jahre eine Definition des „Deutschen“ schuf, die nicht auf Blutsverwandtschaft basierte – eine Regelung, die in der Politik erst 2000 mit der rot-grünen Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts Einzug fand.
Die Erfindung des „Fußballdeutschen“ reiht sich somit ein in eine längere Tradition des DFB, die Bundesrepublik sukzessive als Einwanderungsgesellschaft zu betrachten und „Inländer am Leder“ zu definieren. Hatten früher schon polnischstämmige Spieler wie Rüdiger Abramczik das Dress mit dem Adler übergestreift und Rainer Bonhof, der die Vorlage zum Siegtreffer im WM-Finale 1974 gab, seine Jugend noch in den Auswahlteams der Niederlande verbracht, sollte die Geschichte auch nach 1990 fortgesetzt werden. Denn spätestens als die DFB-Elf um das Jahr 2000 herum recht erfolglos auf dem Grün herumstolperte, wollte man die Mannschaft mit ausländischen Top-Spielern aus der Bundesliga auffüllen. Akribisch wurde nach deutschen Großmüttern in den Stammbäumen gesucht, um nicht nur Sean Dundee und Paulo Rink einzubürgern. Sie alle blieben erfolglos.
So musste der DFB in den 2000er Jahren erkennen, dass er sich das große Potential der vielen fußballspielenden Kinder mit Migrationshintergrund nicht entgehen lassen könne. Das Ende ist bekannt: Mesut Özil und Sami Khedira trumpften bei der WM 2010 neben Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller groß auf. Vielleicht wäre es ohne die Erfindung des „Fußballdeutschen“ nie soweit gekommen.